Blumentopf – Interview von 1998

Gerade ist auf dem Stuttgarter Label der Fantastischen Vier, Four Music, das Debütalbum vom Blumentopf „Kein Zufall“ mit 20 Tracks erschienen. Bereits Ende August stellten die fünf in Freising bei München wohnenden (Gewächs)- Haus- Bewohner auf dem Schenefelder Open Air ihre neuen Stücke vor. Die vier MC’s Kung Schu, Holunder, Master P und Specht, sowie ihr DJ und Produzent Sepalot gaben WILDSTYLZ Auskunft über ihre Anfänge, ihre Erfahrungen mit der Münchner Musik – Szene und über ihre wahren und unwahren Texte:

Warum nennt ihr euch eigentlich Blumentopf?
Master P: Die Frage sollte der Mann im Blumenhemd beantworten.
Holundermann: Okay, also das ist so. Als wir mit Blumentopf angefangen haben, da standen wir eigentlich nur die ganze Zeit im Keller und haben gefreestylt, weil es draußen zu heiß war, um Sport zu machen. Keiner hätte je gedacht, daß wir daraus später mal ernsthaft eine Gruppe machen würden. Wir standen einfach im Keller und haben gesagt: Hey, heute sind wir der Wurschtsalat und am nächsten Tag waren wir die Fetten Säcke. Und irgendwann waren wir dann Blumentopf. Und das ist halt immer so weitergegangen und Blumentopf war das, was sich irgendwie im Kopf festgesetzt hat. Aber ich glaube nicht, daß es zufällig war, daß wir uns gerade den Namen Blumentopf ausgesucht haben, sondern wir hatten da dieses coole Bild im Kopf: Da ist der Topf, aus dem viel herauswächst, alle zusammen in einem Topf. Uns allen hat das Bild vom Blumentopf gefallen und da sind wir deswegen dran hängengeblieben. Als wir dann hinterher quasi ernsthaft eine Gruppe waren, da wollten wir den Namen auch nicht mehr ändern. Das wäre auch ein ziemlicher Fake, wenn wir sagen würden: Hey, mal im Ernst, jetzt machen wir das richtig, jetzt heißen wir nicht Blumentopf, jetzt nennen wir uns Lyrische Präsenz. Diesen Schritt wollten wir nicht machen und deswegen ist es bei Blumentopf geblieben. Aber das ist definitiv kein Zufall.
Master P: Der Mann hat ein 1,0 Abi!! Props für den Mann vor mir!!

 

Was geht in Münchner Hip Hop- Clubs ab?
Kung Schu: Man erlebt ‘ne ganze Menge Hip Hop-mäßig in München. Für mich ist dieses Hip Hop- Gefühl einfach, in Clubs zu gehen, drinzustehen und zu denken „Ohhhhaa“. Nein, nein, im Ernst, da gibt es z.B. die Muffathalle in München, die jeden Donnerstag Hip Hop spielt. Teilweise gibt es wirklich coolen Hip Hop, aber leider ist das sehr schwankend. Du gehst einmal hin und denkst dir „Oh, ist das geil“, und beim nächsten Mal ist es superschlecht.
Es gibt einfach nichts in München, wo du hingehst, und du weißt, daß es geil ist. Es gibt nur Clubs, wo du hingehen kannst, und du weißt, na ja, die Chancen stehen ganz gut. Wenigstens kennen wir ja ein paar Leute, David (von Main Concept) und die ganzen Leute sind auch immer da und das macht den Abend dann gut, nicht etwa der Sound.

 

Mir kommt es häufig so vor, daß in Hamburg alle Leute, die auf Hip Hop- Veranstaltungen oder in Clubs gehen, supercool sind, sich am besten gar nicht bewegen und ein Gangstaface aufziehen und dazu kommt meistens, daß die Stimmung ätzend ist. Wie ist denn das in München?
Specht: Das gibt’s in der Muffathalle auch, da stehst du und schaust dich um und alle nicken nur mit dem Kopf. Das Kopfnickerdasein ist zwar ganz cool, aber Party hat man meistens nicht richtig auf den meisten Hip Hop- Konzerten. Wenn man in Münchner Plattenläden kommt, dann denkt man, man sei in New York. Die Leute sind echt cooler als Eis.
Geh mal auf ein anderes Fest und du weißt, wie die Leute abgehen.
Kung Schu: Das ist das furchtbar Traurige, das du das einfach sagen mußt. Hip Hop ist meine Lieblingmusik, das ist wirklich vom Sound her einfach das beste, aber wenn du auf Feste gehst und du willst wirklich geil Party machen und du willst, daß die Stimmung paßt, von den Leuten die da sind, dann geh ich einfach lieber auf andere Feste, (brüllt): auf SCHLAGERFESTE geh i.
Master P: Veranstaltungstip: Donnerstag abend im Nachtwerkclub Discosound und Mittwochs Telefonparties. Wunderbar. That’s it.

 

Wie seit ihr denn zu Four Music gekommen?
Master P: Wir haben mal eine Demo-CD aufgenommen, die gab es ganze fünfzehnmal, „Topfhits“ hieß die. Man kann sagen, daß das unsere erste LP war, da waren 15 oder 16 Tracks drauf, von denen keiner mehr verwendet wurde. Dann haben wir in Eigenregie praktisch die Maxi zur LP gemacht, da war „München Nord“ mit einem Remix, der Titeltrack „Abhängen“ und „Ich erinner mich“ drauf. Die haben wir ein bißchen verschickt und Label-Shopping gemacht, wie das im Fachjargon heißt. Eine Freundin von uns hatte gehört, daß die Fantas ein Label gründen wollten, da war das alles noch nicht so offiziell, und hat eben eine Platte zu ihnen geschickt. Daraufhin sind die aufmerksam geworden. Dann haben wir uns getroffen und dann hat unser Anwalt a Fischvergiftung g’habt. Das war unser erstes Geschäftsessen.

 

Was mir an eurer Platte sehr gut gefallen hat, ist, daß ihr deutsche Samples zum Scratchen verwendet habt. Wie kam es dazu?
Sepalot: Die Frage müßte eher lauten: Wieso nicht? Ich mein, mittlerweile gibt es genügend coole Sachen, die man von deutschen Platten nehmen kann. Da brauche ich nicht auf Amis zurückzugreifen. Ich finde, daß es einfach besser zusammenpaßt, wenn die Vocals auf deutsch sind und wenn dann auch der Scratch-Chorus auf deutsch ist.
Specht: Das ist auch eine Sache von Respekt geben. Wenn man z.B. die Massiven im Chorus kratzt, dann freut es die wahrscheinlich und wenn man Craig Mack kratzt, dann sagt der halt: Das kratzt mich nicht mehr!
Master P: Man scratcht lieber Leute, die man kennt und die man mag.

 

Wie seht ihr momentan die Hip Hop – Bewegung? Ich glaube, daß immer bessere Sachen herauskommen. Wie schätzt ihr z.B. den Erfolg von Freundeskreis ein?
Sepalot: Der Erfolg ist großartig und das freut uns auch wahnsinnig. Für mich ist das ein Lichtstreifen am Horizont, daß es so ein Lied wie „Anna“ mal in die Charts schafft. Da denk ich mir echt: Des is der Woahnsinn!
Kung Schu: Jetzt kommt erst die Zeit, wo man sagen kann: Der hat einen Style, der mir gefällt und der hat einen Style, der mir nicht gefällt. Früher war das so, da hat man nur gesagt, der kann’s und der kann’s nicht und man hat’s selber auch nicht so gut gekonnt. Es kristallisieren sich langsam eigene Styles heraus. Es ist viel reifer und eigenständiger geworden. Ich finde z.B. die Massive Töne Platte sehr geil. Daß Freundeskreis so einen Erfolg hat, ist wirklich Wahnsinn, mitten in den Charts. Das gibt Hoffnung. Der Markt ist da und es gibt viele Dinge, die diesen Markt füllen können. Und das ist schön!
Holundermann: Früher war es so: Du hast in die Charts geschaut und sahst nur TicTacToe und Bürger Lars Dietrich und Der Wolf. Und du hast gedacht: Was geht eigentlich ab, checken denn diese ganzen Leute nicht, daß die Typen einfach nicht rappen können und das es welche gibt, die es können. Und wenn ich dann jetzt „Anna“ in den Charts sehe, dann denke ich mir: Ja, es haben doch ein paar gecheckt. Und das baut einen dann wirklich auf.

 

Wie wichtig ist ein Video heutzutage, um Erfolg zu haben?
Master P: Ein Video ist heutzutage essentiell, sag ich mal. Leute, die Musik hören wollen, schalten als allererstes den Fernseher an, VIVA oder MTV, und zweitrangig ein Radio. Das ist halt heute so.
Sepalot: Wobei ein Video auch nichts nützt, wenn es nicht gespielt wird. Und damit es auf VIVA oder MTV gespielt wird, muß man entweder einiges zahlen oder Connections haben oder eine ständige Live-Präsenz. Ein Video zu drehen, nur damit es einmal auf Wordcup läuft, rentiert sich auch nicht. Man muß schon genau abwägen, ob sich der finanzielle Aufwand für ein Video lohnt oder nicht.

 

Wie sieht es denn bei euch mit einem Video aus?
Sepalot: Zur zweiten LP haben wir sicher eins und ob es jetzt noch klappt, wissen wir auch noch nicht genau, wenn, dann zur zweiten Maxi „6 Meter 90″.

 

Apropos 6 Meter 90″. Ist die Geschichte eigentlich wahr (es geht um den Selbstmord von Holunders Schwester aus Kummer, weil sich Take That aufgelöst haben)?
Holundermann: Das ist eben genau der Witz dran. Wenn du dich fragst, ob die Geschichte wahr ist, dann hat das Lied seinen Zweck erfüllt. Oft ist es so, daß man nicht weiß, ob man über einige Sachen jetzt lachen oder weinen soll. Das Lied ist zwar irgendwo witzig, aber es ist doch traurig, daß es so ist. Genau so war das Lied gedacht. Die Geschichte ist nicht wahr, das sage ich schon mal, um meine Schwester nicht in üblen Verruf zu bringen, die übrigens noch lebt und die ich wirklich hab und die ich sehr mag und die ich hier grüße.
Aber es ist nicht so unrealistisch, daß es nicht auch wahr sein könnte. Es könnte auch irgendwo so passiert sein. Das ist eben der Witz an diesem Lied.
Kung Schu: Bei den meisten Auftritten haben wir allerdings gemerkt, daß der Witz gar nicht so gut rüberkommen ist. Viele Leute sind dann zu uns gekommen und haben gemeint: Das war voll geschmacklos!!
Specht: Das kann ich gut beurteilen, weil ich selbst nicht mitrappe. Es ist eigentlich nicht zum Lachen, obwohl das ein irre witziger Text ist. Es ist lustig, aber nicht lächerlich. Du hörst und denkst: Damn, wie er recht hat! Ich saß da bei „Wetten daß“ und dachte: Das kann nicht möglich sein, wie die alle abgehn und dann noch die ganzen Scheißschlagzeilen danach. Und dann kam der Holunder mit diesem Lied und hat es auf den Punkt gebracht. Und wie sollte man es besser machen, als die Knowledge in eine Geschichte zu verpacken. Die muß nicht immer stimmen. Hauptsache ist, daß die Geschichte dann insgesamt stimmig ist. Wenn man nur über das rappen würde, was man wirklich erlebt hat, wäre das wahrscheinlich bei vielen Rappern ziemlich langweilig. So, gestern war ich einkaufen, da gab’s keine Milch mehr und so! Das sind Geschichten, die will keiner hören. Das sind halt Holunders Gefühle, die er in eine Geschichte verpackt hat. Mir gefällt´s. Das Lied ist ein Knaller!

 

Textlich geht es bei euch um alltägliche Situationen oder witzige Geschichten. Was wollt ihr damit bezwecken?
Kung Schu: Für mich sind die coolsten Lieder, auf die ich am meisten stolz bin, die, bei denen du eine Geschichte erzählst und die Leute lange brauchen, um sie zu kapieren. Z.B. bei dem Stück „Mach was“, dieses Lied mit dem Chorus: „Die Welt wird nicht einfach besser, nur weil sie sich dreht, man bewegt nichts, wenn man sich selber nicht bewegt!“ Ich mein, das ist so, und dann kommt die Geschichte von dem Spinner, der in den Supermarkt geht und Fischstäbchen kauft und sie dann in der Nordsee freiläßt. Das ist es eben. Du könntest da auch einen sehr ernsten Text draus machen. Aber es ist viel schöner, wenn die Leute lachen können und die Message dabei trotzdem mitkriegen. Nicht mit dem Zeigefinger, sondern eher durch die Hintertür. Sie haben es mitgekriegt, aber sie wissen es eigentlich gar nicht. Das ist das Coolste.

 

Mir gefällt der hohe Identifikationsfaktor an euren Liedern. Damals haben wir Fußball gespielt, Captain Future gesehen. Da wird man an alte Zeiten erinnert. Warum sprecht ihr mehr über solche Dinge als über Rap?
Kung Schu: Es gibt halt einfach lebende Rapper und rappende Lebende!! Das ist auch das, was mich wirklich freut. Wenn ich mir „Ich erinner mich“ anschau, dann merke ich, das es cool ist, wenn du was Greifbares sagst. Es gibt Lieder über früher, da heißt es dann: Früher war alles so toll und wir hatten keine Probleme. Wenn du dagegen sagst, daß du Fußball gespielt hast, dann sitzt der Mensch, der das hört, da und sieht sich dann auch wieder. Das Lied heißt ja auch „Ich erinner mich“, dann sollen sich die Hörer möglichst auch an früher erinnern können.

 

Das Interview wurde von Mc Flummi und Monti
vor dem Hip Hopen Air in Schenefeld / Hamburg geführt.
Abgedruckt wurde es in der Backspin.